Thomas von Celano: Die heilige Einfalt des Franz von Assisi
Die heilige Einfalt suchte Franziskus von Assisi sorglich selbst zu wahren und liebte sie bei anderen. Aber er billigte nicht jede Art von Einfalt, sondern nur jene, die in Gott ihr Genügen findet und alles andere daneben geringachtet – jene Einfalt, die ganz von der Gottesfurcht bestimmt ist, so dass sie nichts Böses tun und sagen kann; jene Einfalt, die sich selber prüft und andere nicht verurteilt; jene Einfalt, die dem Höheren den gebührenden Rang zuerkennt, für sich selbst aber keinen Rang er-strebt; jene Einfalt, die weltlichen Ruhm nicht für wichtig ansieht, die den Hauptwert auf das Tun legt, nicht auf Studieren oder Dozieren; jene Einfalt, die in der göttlichen Wissen-schaft Wortschwall, Spitzfindigkeiten und Effekthaschereien denen überlässt, die zugrun-de gehen sollen – während sie das Mark sucht anstelle der Rinde, den Kern anstelle der Schale, das Wesenhafte anstelle des Vielerleis: das höchste, bleibende Gut.
Solche Einfalt wünschte der selige Vater seinen Brüdern, den gelehrten wie den ungelehr-ten. Denn sie sei nicht ein Gegensatz zur Weisheit, sondern deren echte Schwester.
Thomas von Celano, Zweite Lebensbeschreibung des Franziskus von Assisi
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