Lebendige Liturgie oder Liturgie des Lebendigen?

Ein Blick auf die eigene Lebensweise fällt leichter, wenn man sie vergleicht. Er hilft zu verstehen, warum man die Dinge so tut, wie man sie tut. Wer kann sich schon daran erinnern, wann und warum man sich Marotten angewöhnt hat? Ein Vergleich mit den Gewohnheiten anderer erlaubt es, die eigenen als begründet beizubehalten oder aber als „idiotisch” abzulegen.
Ich möchte die Liturgie für so einen Vergleich in den Blick nehmen. Da gibt es die eine oder andere Marotte, die man sich in Hochdahl angewöhnt hat. Aber welche der liebgewonnenen Gewohnheiten sind begründet und welche haben sich im Laufe der Zeit als „idiotisch” erwiesen? Eine einzelne Antwort dürfte stark von der persönlichen Erfahrung abhängen. Jemand, der in Hochdahl aufgewachsen ist, wird die Entwicklung der Gottesdienstfeier in dieser Gemeinde als Maßstab anlegen. Jemand der erst in den letzten Jahren nach Hochdahl gezogen ist, wird die alte Heimatgemeinde mit ihren Gewohnheiten für einen Vergleich heranziehen. Ein Gespräch – zwischen diesen beiden Positionen – könnte dazu beitragen, die jeweils eigenen Vorstellungen von der Liturgie und die Erwartungen an ihren Vollzug besser zu verstehen. Allerdings wird ein solches Gespräch scheitern, wenn nicht vorher ein gemeinsamer Ausgangspunkt gewählt wird.
Ich schlage vor, von der Stellung des Gottesdienstes in unserem Glaubensvollzug auszugehen. Ohne Zweifel steht die Begegnung mit dem auferstandenen Christus im Zentrum der Messfeier. Denn darin unterscheidet sich die Liturgie ja grundsätzlich von den Gottesdiensten in anderen Religionen. Das Judentum und der Islam kennen die Anbetung Gottes, den Lobpreis und Dank und das Hören der Worte Gottes. Diese Riten bilden jedoch nicht den Kern einer Messe, sie sind vielmehr eine Hilfestellung, dem Gott in unserer Mitte zu begegnen. Wenn wir glauben, dann tritt Jesus in unsere Mitte und wir können ihn sehen und berühren. Und wir empfangen den Heiligen Geist, der uns befähigt, bestärkt und ermutigt Jesus Christus zu folgen, Gutes zu tun und die frohe Botschaft (des fleischgewordenen Wortes) zu verkünden. Wenn wir das so glauben, sollten wir eine Basis haben, um über unsere Gottesdienst-Erfahrungen ins Gespräch zu kommen und unsere Gewohnheiten einem prüfenden Blick zu unterziehen.
Ich möchte hier einen Schritt weitergehen und überlegen, dass sich Konsequenzen für die Gottesdienst-Gestaltung ergeben, wenn eine Begegnung im Mittelpunkt steht. Dies soll nicht den liturgischen Ablauf in Frage stellen. Vielmehr möchte ich verdeutlichen, welche Möglichkeiten bestehen, die Liturgie derart zu vollziehen, dass der Glaube bestärkt wird.

Die Festlichkeit.

Eine schöne Feier ist erbauend. Ist eine festliche Feier erbauender, ein pompöses Amt am erbauendsten? Die Schriften des Neuen Testaments sprechen ein klare, schlichte Sprache. Die Beschreibung der Abendmahlfeier ist so kurz, dass sie in jeder Messe komplett gelesen wird. Die Begegnung mit Gott bedarf nicht viel Tamtams oder anders ausgedrückt: Ist unser Glauben von Zweifeln geprägt, ist das Letzte, was wir benötigen, eine gute Show.

Die Musik.

Die Begegnung mit Gott setzt „zusammen sein” voraus – nicht nur beieinander sein. „Zusammen sein” kann durch Gebet (auch stilles) oder durch gemeinsamen Vollzug gefördert werden.
Die Musik kann beides auf ideale Weise verbinden. Zum einen kann ein Text oder Gebet formuliert und geäußert werden, zum anderen fordert Musik ganzen Einsatz: Hören, Singen und Bewegung. An der musikalischen Gestaltung von allen Beteiligten (Musiker und Gemeinde) lässt sich leicht ablesen, wie man „zusammen ist”. Mehr noch, es lässt sich ablesen, in welcher Weise und Stimmung man „zusammen ist”: Lahmer SingSang oder enthusiastischer Lobpreis. Die Anforderungen an die musikalische Gestaltung sind damit sehr hoch. Zum einen sollten sich (möglichst) alle beteiligen (und sei es nur durch „mitgehendes” Zuhören), zum anderen sollte sich die musikalische Führung (Orgel, Klavier, Chor, …) auf den Prozess des „Zusammenkommens” einlassen und ihn unterstützen (d. h. Zusammenführen statt vorführen).

Die Nachvollziehbarkeit.

Die liturgischen Elemente haben ihren Ursprung in den Taten und Worten Jesu. So wie das Kyrie uns an die Rufe des Blinden bei Jericho „Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir” erinnern, so spiegelt sich im Hochgebet das Gebet zum Vater (nach Johannes) wieder. Die Vielschichtigkeit und Fülle der ganzen Liturgie lässt sich kaum auf einmal erfassen. Es erscheint mir daher sinnvoll, immer wieder die vielen vorhandenen Parallelen zu den Lesungstexten konkret aufzuzeigen und an ihnen neben der Predigt die gehörten Worte erlebbar zu machen. Die Gottesdienste könnten so ihre vertraute Gleichförmigkeit des Vollzugs verlieren und von Sonntag zu Sonntag an der einen oder anderen Stelle in der Intensität variieren – aber Variation selbst ist Ausdruck von Lebendigkeit.

Simon Görtz

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